Elektroauto als Stromspeicher mit bidirektionalem Laden – Leitfaden
Bidirektionales Laden eines Elektroautos (Bidi-Laden) beschreibt die Fähigkeit, den vorher in den Akku geladenen und damit zwischengespeicherten Strom zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgeben zu können. Das aktuelle Standardladeverfahren eines E-Autos ist der Bezug von Strom aus dem Stromnetz einer privaten Wallbox oder aus (halb-) öffentlicher Ladeinfrastruktur. Der unidirektional geladene Strom wird dann in Form von Bewegung also Reichweite oder Klimatisierung / Wärme für den Fahrzeuginnerraum abgegeben.
Aktuell werden Elektroautos bereits in Form von Stromspeichern für PV-Anlagen oder bei teilweise vorhandenen günstigen Börsenstromtarifen genutzt, um günstiger unidirektional geladen zu werden als es der klassische Stromtarif ermöglichen würde.
Das Elektroauto wird mit der Funktion des bidirektionalen Ladens bzw. der Rückspeisefähigkeit zu einem zukünftig wichtigen Baustein der Energiewende. Der Akku des E-Autos wird dann in der Lage sein, den an sonnenreichen oder windstarken Tagen im Überfluss vorhandene EEG-Strom zwischenzuspeichern. So kann der aus Photovoltaik- oder Windkraftanlagen gewonnene Strom zu einem späteren Zeitpunkt wieder rückgespeist oder intelligent genutzt werden. Damit würde das Elektroauto als Stromspeicher die Funktion einer riesigen smarten Powerbank übernehmen. Die intelligente Nutzung des zwischengespeicherten Stroms ist durch die entstehende Vehicle-to-X (V2X) Technologie möglich. Hierbei wird der Strom des Elektroautos für bestimmte Einsatzzwecke sowohl energie- als auch kosteneffizient an andere Verbraucher oder Speicher abgegeben.
In den nächsten Abschnitten beschreibe ich in einem großen Leitfaden die verschiedenen Formen von V2X und welcher Nutzen daraus entstehen wird. Ich gehe ebenso auf die verschiedenen technischen und rechtlichen Voraussetzungen sowie aktuellen Hindernisse des bidirektionalen Ladens eines E-Autos für den Massenmarkt ein.
Inhaltsverzeichnis
Formen des bidirektionalen Ladens oder Vehicle-to-X (V2X)
Vehicle-to-Load (V2L)
Vehicle-to-Load oder auch V2L genannt, beschreibt die Fähigkeit eines Elektroautos, den im Akku vorhandenen Strom über einen an die Ladebuchse angeschlossenen V2L-Adapter an externe Geräte mit Schuko-Stecker abzugeben. Folgende Anwendungsfälle oder Neudeutsch „Usecase“ gibt es dafür.
Energieautarkie beim Camping – V2L Anwendungsfall
Mittels eines V2L-Adapters (Typ-2 Stecker auf Schuko-Steckdose) nutzen Elektroautofahrer bereits heute Strom aus dem Akku des E-Autos. Dies kann zum Beispiel über eine Mehrfachsteckdose beim Camping oder an abgelegenen Orten ohne Stromnetz erfolgen. Dabei kann der Strom aus dem Elektroauto unter anderem für die Kaffeemaschine, Beleuchtung oder das Laden von Smartphones genutzt werden.
Notstromversorgung für Überbrückung Stromausfall – V2L Anwendungsfall
Ein weiterer Anwendungsfall für V2L ist, längere Stromausfälle im Haus oder der Wohnung zu überbrücken, indem mit einem Verlängerungskabel den Strom vom Auto für die Heizung, Kühlschrank oder Gefrierschrank nutzt.
Vorteil V2L
- macht vorher günstig und „grün“ geladenen Strom aus dem Akku des E-Autos später nutzbar
- vergleichsweise günstig, da nur V2L-Adapter und Schuko-Verlängerungskabel benötigt werden
- keine weiteren technischen oder rechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten
Nachteil V2L
- nicht jedes Elektroauto kann V2L
- darf nicht für das komplette Hausstromnetz betrieben werden, sondern nur für einzelne Geräte
- aktuell meist nur Ladeleistung von 3,7 kW möglich
Vehicle-to-Vehicle (V2V)
Vehicle-to-Vehicle oder auch V2V genannt, ermöglicht es, Strom vom Akku eines Elektroautos in den Akku eines weiteren E-Autos entweder direkt oder indirekt über Wallboxen zu laden.
Ladeinfrastruktur für Orte mit geringer Stromanschlussleistung – V2V Anwendungsfall
Gerade Mieter haben das Problem, dass Sie meistens keinen eigenen PKW-Stellplatz mit einer Wallbox zur Verfügung haben. Da der Ausbau von Ladeinfrastruktur für den Vermieter in Abhängigkeit der lokal vorhandenen verfügbaren Stromanschlussleistung sehr teuer werden kann, sind V2V Lösungen entstanden. Hierbei wird nicht das Ziel verfolgt, jedes E-Auto schnell mit hoher Ladeleistung zu beladen. Viel mehr wird die geringe Anschlussleistung intelligent auf die verschiedenen Wallboxen zur Beladung der angeschlossenen E-Autos verteilt. Die Steuerung dieser Software erlaubt es zum Beispiel, anhand des aktuellen Strompreises zu beladen. Sie berücksichtigt auch die von den Elektroautofahrern per App eingegeben zukünftigen Abfahrzeiten damit genügend Strom im Akku ist. Typische Orte, an denen V2V Lösungen entstehen, sind Tiefgaragen oder Parkplätze von Mehrfamilienhäusern.
Notstromversorgung für Pannenhilfe – V2L / V2V Anwendungsfall
Ihr seid wegen Strommangels liegen geblieben oder der Akku eures E-Autos wurde so stark entleert, dass ihr droht liegen zu bleiben? Dann könnte ein zweites V2L-fähiges Elektroauto eure Rettung vor den hohen Kosten eines Pannendienstes wie ADAC oder AVD sein. Auch wenn man mit der meistens nur geringen Ladeleistung von 3,7 kW etwas Zeit benötigt, um das E-Auto soweit aufzuladen bis man zur nächsten Ladesäule kommt, könnte dieser Usecase für manche Elektroautofahrer interessant sein.
Vorteil V2V
- ermöglicht die Bereitstellung von Ladeinfrastruktur auch an Orten, an denen geringe Leistung bzw. schlechte Stromnetzinfrastruktur vorliegt, z.B. in Parkhäusern, Tiefgaragen von Mehrfamilienhäusern
- kann die langen Standzeiten der E-Autos in seinen Stellflächen softwaregestützt optimieren
Nachteil V2V
- Ladeverluste bei jedem Übertrag des Stroms von Elektroauto zu Elektroauto
- durch die geringe zur Verfügung stehende Gesamtleistung kann je E-Auto nur mit wenig kW geladen werden
Vehicle-to-Home (V2H)
Beim Vehicle-to-Home oder manchmal auch Vehicle-to-Building genannt, wird der Strom aus dem Akku des E-Autos für das Haus oder Gebäude genutzt.
Elektroauto als Stromspeicher für das Haus – V2H Anwendungsfall
Das Elektroauto nimmt in diesem Anwendungsfall des bidirektionalen Ladens zusätzlich die Funktion eines Stromspeichers für das Haus ein. Bidirektional, weil nicht nur der Strom vom Auto für das Haus abgegeben werden, sondern weiterhin auch bei Überschuss der Solarerzeugung mittels der eigenen PV-Anlage gespeichert werden kann.
Vorteil V2H
- kostengünstig geladener Strom aus der eigenen PV-Anlage kann später im Haus genutzt werden, ohne auf teure Stromtarife angewiesen zu sein.
- in Kombination mit dynamischen Stromtarifen wie von tibber oder aWATTar sind Stromkosten für das Haus günstiger
- günstig oder kostenlos geladener Strom aus öffentlichen Ladesäulen kann später für das Haus genutzt werden
- erhöht den Grad der Autarkie vom Stromnetz
- aktive Teilnahme an der Energiewende: Durch Zwischenspeicherung und späteren Verbrauch von EE-Strom wird der Anteil erneuerbarer Energie erhöht und fossile Erzeugung reduziert
Nachteil V2H
- nicht jedes Elektroauto ist V2H-fähig
- Wallboxen mit der Funktion sind noch recht teuer
- Unklar bleibt der Standby-Verbrauch, besonders im Winter durch Akkuheizung bei Frost, wenn das Auto draußen steht.
Tiefergehende Informationen zum bidirektionalen Laden eines E-Auto mit V2H (Vehicle-to-Home) findet ihr im eigenen Blogartikel.
Vehicle-to-Grid (V2G)
Vehicle-to-Grid (V2G) bezeichnet die Möglichkeit des Elektroautos, den im Akku vorhandenen Strom mit dem Stromnetz mittels bidirektionalen Laden auszutauschen.
Netzentlastung und Lastmanagement – V2G Anwendungsfall
Während das Elektroauto zu Hause oder an einer öffentlichen Ladesäule angeschlossen ist, könnte der Akku bidirektional zur Netzstabilisierung und Frequenzerhaltung zur Verfügung stehen. Dabei kann in Zeiten von zu viel EEG-Strom im Netz der Akku als Stromspeicher zur Verfügung stehen. Damit verringert man die sonst nötige Abschaltung oder Drosselung von EE-Anlagen.
Bei zu wenig Strom im Netz, kann das geladene E-Auto Strom an das Netz abgeben und somit den nötigen Einsatz von ungewünschter fossiler Stromerzeugung verringern.
Die Steuerung, ob der Strom in das Elektroauto geladen oder an das Stromnetz abgegeben wird, übernimmt eine Software, welche den Lade- oder Entladevorgang im Elektroauto oder der Wallbox steuert.
Vorteil V2G
- Entlastung des Netzes durch Abmilderung von Lastspitzen
- Zwischenspeicherung von PV- und Windstrom in Fahrzeugbatterien
- Weniger Netzausbau und geringere Netzentgelte möglich
- weniger Reservekraftwerke nötig
- Vermeidung von Abregelung erneuerbarer Energie
- Zusatzerlöse durch Bereitstellung der Fahrzeugbatterie
- Bessere Ökostrom-Integration verbessert CO₂-Bilanz
- Technologie vorhanden: V2G-Wallboxen (DC), AC-Lösungen folgen, ISO-Standard in Arbeit
Nachteil V2G
- Nicht jedes Elektroauto ist V2G-fähig
- Wallboxen mit der Funktion sind noch recht teuer
- der Akku wird viel häufiger genutzt als ohne V2G, so dass man auf die Garantien achten sollte
Voraussetzungen für bidirektionales Laden eines Elektroautos
Sowohl das Elektroauto als auch die Wallbox müssen technische Voraussetzungen für das bidirektionale Laden erfüllen.bidirektionale Wallboxen und Ladesäulen
Bisher gibt es nur sehr wenige und teure Wallboxen, mit denen das Elektroauto bidirektional geladen werden kann. Eine davon ist die DC Wallbox Quasar, welche über den eher im asiatischen Raum typischen CHAdeMO Stecker verfügt und um die 6.000 € kostet. Der Nachfolger Quasar 2 ist bereits angekündigt und verfügt über den in Europa verbreiteten CCS-Stecker. Die Sigen EV DC Charging Modul von Sigenergy ist eine weitere bidirektionale Wallbox.Liste der bidirektionalen Wallboxen
- Quasar 2 von Wallbox Chargers
- Sigen EV DC Charging Modul von Sigenergy
- Green Motion DC 22 von Eaton
- ambiCHARGE 11kW DC-Wallbox von Ambibox
rückspeisefähige Automarken und Modelle
Aktuell sind bisher diese Automarken und Modelle von Elektroautos bekannt, die für das bidirektionale Laden vorbereitet sind:- Hyundai Ioniq 5
- Hyundai Ioniq 6
- Hyundai Kona Modelle ab Herbst 2023
- Nissan LEAF
- Nissan e-NV200
- Mitsubishi Outlander PHEV
- Mitsubishi Eclipse Cross
- Peugeot iOn
- Citroën C-Zero
- Volvo EX90
- VW ID.3
- VW ID.4
- VW ID.5
- Ford F-150 Lightning
- Ford Explorer (Extended-Range-Version)
- Ford Capri (Extended-Range-Version)
- Skoda ENYAQ iV
- Kia EV6
- Kia EV9
- Honda e
- Audi Q4
- BMW Modelle der Neuen Klasse ab 2025 (z. B. iX3 und i3 Limousine)
- Cupra Born mit 77 kWh-Batterie
- Mercedes CLA und folgende Modelle
- Polestar 3
- Porsche Taycan
- Renault 5 Electric
- Renault 4 Electric
- Toyota bZ4X
FAQ bidirektionales Laden eines E-Autos
Was ist bidirektionales Laden?
Bidirektionales Laden eines Elektroautos (Bidi-Laden) beschreibt die Fähigkeit, den vorher in den Akku geladenen und damit zwischengespeicherten Strom zu einem späteren Zeitpunkt wieder abgeben zu können.
Welche Anwendungsfälle gibt es beim bidirektionalen Laden?
Bidirektionales Laden ermöglicht diese Anwendungsfälle: Energieautarkie beim Camping, Notstromversorgung für Überbrückung Stromausfall, Notstromversorgung für Pannenhilfe, Elektroauto als Stromspeicher für das Haus, Netzentlastung und Lastmanagement. Zukünftig wird das Spektrum noch größer werden.
Welche Elektroautos können bidirektional Laden?
Diese E-Autos sind für das bidirektionale Laden vorbereitet: Hyundai Ioniq 5, Nissan LEAF, Nissan e-NV200 ,Mitsubishi Outlander ,Mitsubishi Eclipse Cross ,Peugeot iOn ,Citroën C-Zero ,Volvo EX90 ,VW ID.3 ,VW ID.4 ,VW ID.5 ,Ford F-150 Lightning ,Skoda ENYAQ iV ,Kia EV6,Honda e.
Welche Wallbox ist rückspeisefähig?
Aktuell gibt es nur sehr wenige für das bidirektionale Laden vorbereitete Wallboxen. Aktuell am Markt verfügbar sind z.B. die Quasar und Quasar 2.